Emil Freymuths architektonische Sterne in Obersendling

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte Siemens  seinen Firmensitz von Berlin nach München. Um für die Mitarbeiter Wohnungen zu bekommen, wurde die Siemens-Siedlung in Obersendling errichtet. Es galt damals als vorbildliches Wohnquartier in grüner Umgebung und mit dem Bau der Sternhäuser wurde Architekturgeschichte geschrieben.

 

Der Konzern Siemens und Halske verlagerte nach dem Zweiten Weltkrieg großes Teile seines Betriebs von Berlin nach München. Um die Hofmannstraße in Obersendling breitete sich der Industriekonzern aus. Um Wohnraum im weitgehend zerstörten München für seine Angestellten zu beschaffen, wurde schließlich von der Firma Siemens beschlossen, eine komplette Siedlung für sie zu errichten. Als Baugebiet wurde ein Areal nordwestlich des Industriegebiets, zwischen der von Theodor Fischer in den 1920er-Jahren entworfenen Wohnanlage Zielstattstraße-Nelkenweg im Osten und einer Villensiedlung im Bereich der Bannwaldstraße im Westen in Obersendling festgelegt.

Als Architekt entschied sich Siemens für Emil Freymuth, der im Süden Obersendlings in der Aidenbachstraße 87 bis 99 bereits 1928 die Wohnsiedlung Freiland im Stil des Neuen Bauens errichtete hatte.

Freymuth entwarf die Großsiedlung nördlich der Boschetsrieder Straße als Parkstadt in einer Grünanlage, damals zum Teil noch bewaldeten Fläche südöstlich des heutigen Südparks. Wie später die von Franz Ruf entworfene Parkstadt Bogenhausen sowie die Alte Heimat in Laim grenzte er den Durchgangsverkehr aus der Siedlung aus und schirmte den Verkehrslärm  durch einen Riegelbau (Ladenbau in der Boschetsrieder Straße 118) ab. Erschlossen wurde die Großsiedlung stattdessen  durch eigens angelegte, zum Teil durch die Parklandschaft geschwungene Straßen.

Für die Bebauung ordnete er die Baublöcke unterschiedlichen Volumens so an, dass er in das Zentrum Hochhäuser – die zwei Sternhäuser sowie ein Scheibenhaus – positionierte, die im Norden und Süden durch niedrigere Zeilenbauten ergänzt wurden.

Die Sternhäuser

Markanteste Bauwerke sind zwei 17-stöckige Hochhäuser, die „Sternhäuser“ I (Schuckertstraße 14) und II (Schuckertstraße 13) genannt werden, da drei Gebäudeflügel sternförmig von einem Mittelteil abzweigen. Im Zentrum befindet sich Erschließungskern mit dem durch vertikale Glasachsen belichteten Treppenhaus, Fahrstühlen und Müllabwurfschacht.

Das Sternhaus I weist je Geschoss in jedem der drei „Sternzacken“ eine Wohnung unterschiedlicher Größe auf. Eine 3-1/2-Zimmer-Wohnung sowie eine Wohnung mit 2 Zimmern und eine mit 3 Kammern. Die Stirnseite des Südflügels ist ganz in Loggien aufgelöst, die Südwest- bzw. Südostkanten der Ost- und Westflügel erscheinen in ihrer ganzen Höhe lamellenartig durch die um die Hauskante herumgeführten Rundungen der Freisitzkragplatten und geschlossenen Brüstungen abgestuft. Dadurch und mit den rhythmisierte Fenstergruppierungen, den fast putzbündig in die Wände eingeschnittenen Fensteröffnungen ohne Putzrahmung, ergibt sich eine hohe Gestaltungsqualität.

Das Sternhaus II verfügt über ein geringeres Volumen, da die Wohnungsgrößen mit je drei 2 1/2 Zimmer kürzere Flügel benötigen. Erst 2007 wurde das Ensemble mit dem dritten Sternhochhaus, nach einem Entwurf von Otto Steidle + Partner, ergänzt

 

Die Hochhausscheibe

Östlich des Sternhaus I setzte Freymuth in die Leo-Graetz-Straße 3, 5, 7, 9 eine schmale Hochhausscheibe. In der Nordseite mit 13 Geschossen befinden sich die Eingänge und Aufzugsvorbauten sowie die Schlafzimmer der Wohnungen, die aufgrund der Hanglage nur zwölf Geschosse aufweisende Südseite ist die Wohnseite mit dem Wohnzimmer. Das Terrassengeschoss weist nur Einraum-Wohnungen auf, sonst gibt es in den anderen Geschossen Wohnungen mit eineinhalb bis viereinhalb Zimmern.

 

Wohnblöcke mit unterschiedlicher Höhe

Außer den Sternhochhäusern und dem Scheibenhochhaus gibt es meist nord-südlich angeordneten Gebäude mit unterschiedlicher Bauhöhen, darunter auch zweigeschossige Reihenhäuser. Auch die dort befindlichen Wohnungen weisen in der Regel einen Balkon oder eine Loggia auf. In den nordsüdlich angeordneten Wohnblöcken wurden die Balkone als ausgebauchte „Schwalbennester“ angebracht, wobei die Wohnungen und Balkone in den Blöcken zum Teil schräg versetzt gestaltet wurde. Dabei kommt die zur Zeit der 1950er-Jahre typisches Lebensgefühl mit der Italienbegeisterung durch die Einbeziehung von möglichst viel Sonne zum Ausdruck. Bei der Anlage wurde zudem darauf geachtet, dass bei möglichst vielen Wohnungen die Schlafräume gegen Osten oder Norden, die Wohnräume dagegen nach Süden oder Westen ausgerichtet waren.

 

Versorgungseinrichtungen

Entlang der Boschetsrieder Straße 118 befindet sich eine Ladenzeile, die in einem erdgeschossigen Trakt in Ostwest-Richtung mit rechtwinklig angesetzem Kopfteil an der Westseite untergebracht ist. Andere Versorgungseinrichtungen wurden zum Teil an den Wohngebäuden angebracht. So befindet sich am Scheibenhochhaus ein fünfgeschossiger Trakt mit zweigeschossigem Anbau auch die Heizungsanlage und Wäscherei.

Eigentümer der Siemens-Siedlung

Bis Mitte 2008 wurde die Siedlung nach energetischen und denkmalschützerischen Gesichtspunkten saniert, die Planung und Ausführung wurde vielfach mit Preisen der Bau- und Wohnungswirtschaft ausgezeichnet. Danach (Anfang 2009) verkaufte Siemens Real Estate seinen gesamten Wohnungsbestand, darunter auch die Siemens-Siedlung in Obersendling. Eigentümer ist nun ein Konsortium, bestehend aus der Wohnbau GmbH (Bonn), der GBW Gruppe (München) und der Volkswohnung GmbH (Karlsruhe).

 

Quellen: Denis A. Chevalley, Timm Weski, Denkmäler in Bayern, Landeshauptstadt Mpnchen Südwest 1; Winfried Nerdinger (Hrsg.): Architekturführer München; http://stadt-muenchen.net/baudenkmal/d_baudenkmal.php?id=6086;

Fotografien: Ulrich Lohrer