Zauberer lichter Höfe

Der Sieg beim Wettbewerb um den Deutschen Pavillon der Expo 2000 machte ihn schlagartig bekannt. Seinen Entwurf konnte er zwar nicht realisieren – doch Florian Nagler ließ sich dadurch von seinem Formkonzept nicht abbringen. Das Kirchenzentrum in Riem und das Besucherzentrum für die KZ-Gedenkstätte in Dachau zeigen, welche faszinierendes Wechselspiel mit Licht und Schatten, Innen und Außen dem Architekten gelingen.

 

Das 1996 gegründete Büro Florian Nagler Architekten wird von Barbara und Florian Nagler als Geschäftsführer geleitet. Barbara wuchs in Bayreuth auf und studierte Mathematik und Physik in Regensburg und danach Architektur in Kaiserslautern. Dort lernte sie ihren späteren Mann Florian Nagler kennen.

Florian Nagler wurde in München geboren, ging in Bad Tölz auf das Gymnasium und fing in in München 1987 mit dem Studium der Kunstgeschichte und bayerische Geschichte an, dass er für eine Zimmererlehre abbrach. 1989 bis 1994 folgte das Studium der Architektur in Kaiserslautern, während er bei Auer + Weber und Otto Steidle Büropraxis gewann. Nach dem Diplom war er freier Mitarbeiter bei Mahler Günster Fuchs, betreute den Bau der Grund-und Hauptschule in der Messestadt Riem und gründete in Stuttgart sein eigenes Büro. 1997 wurde er schlagartig durch den Wettbewerbsieg des Deutschen Pavillon für die Expo 2000 in Hannover bekannt. Naglers Entwurf sah eine Konstruktion aus 28 Sichtbetonpfeilern mit einer Höhe von 20 Meter vor. Die Jury ist von Naglers Entwurf begeistert, die Messegesellschaft fordert jedoch immer wieder neue Änderungen – bis der Architekt schließlich Abstand von der Sache nimmt.

Danach ziehen Barbara und Florian Nagler mit ihrem Büro nach München und gewinnen weitere Wettbewerbe: es entstehen das Distributionszentrum Bobingen, das Kirchenzentrum der Messestadt Riem und den Neubau der Fachhochschule Weihenstephan, das Bürgerhaus in Neuperlach – und das Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau.

 

Kirchenzentrum Riem (2001-2005)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die katholische und die evangelisch-lutherische Kirche schlossen sich für die Betreuung ihrer Gemeindemitglieder der neuen Messestadt Riem zusammen und liessen ein gemeinsames Kirchenzentrum errichten. Florian Nagler überzeugte seine Auftraggeber in der Umsetzung des ökumenischen Gedankens bei gleichzeitiger Bewahrung der Eigenständigkeit der zwei Kirchengemeinden.

 

Das evangelisch-lutherische Gemeindezentrum mit der Sophienkirche befindet sich im Norden des Gebäudekomplexes, das katholische Pfarrzentrum mit der St. Floriankirche südlich davon. Der Kirchenraum ist nach Westen ausgerichtet und wird bei Sonneneinstrahlung durch das über die gesamte Breite sich erstreckende Glasfenster in goldbraunes Licht getaucht. Die Fenster wurden von der Berliner Glasmalerin Hella Santarossa gestaltet. Deren integraler Bestandteil ist ein Kindergarten.

Die kubische Form lässt an eine moderne „Festung des Glaubens“ denken. Der Glockenturm gleicht einer weißen Säule und steht frei auf dem Platz der Menschenrechte. Im Norden und Süden bilden dünne Schlitze ein Kreuz. Auf der West- und Ostseite sind Schallfenster für die Glockenstube eingelassen. Jeweils unterhalb ist ein Ziffernblatt angebracht. Beide Gemeinden "teilen" sich sozusagen das Geläut in der Campanile.

 

 

 

Naglers Kirchenzentrum, von dem beide Kirchenräume und die Amtsbereiche erschlossen werden,  prägt den neuen Stadtplatz und bildet zugleich den Übergang von der Stadt zur Landschaft des Riemer Parks. Die unterschiedlich hohen Gebäudeteile des Kirchenzentrums und der schmale Kirchturm werden von einer zehn meter hohen Mauer nach außen abgeschirmt. Das weiße Gebäude wirkt von außen eher zurückhaltend.

Innen unterteilt es sich nicht nur in die Bereiche der zwei Kirchen, sondern auch in unterschiedliche Nutzungszonen. Es ist eine Oase aus einer Aneinanderfolge von durch Ziegelmauern und Holzfassaden getrennten Innenhöfen mit Bäumen und Brunnen, von Gärten und Dachterrassen. Das interne Wegesystem schließt sich an die Fuß- und Radwege der Umgebung an.

 

 

 

 

Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau (2006)

 

 

Während des Nationalsozialismus waren im KZ Dachau 200.000 Menschen inhaftiert. Mehr als 40.000 Häftlinge fanden im Stamm- und in den Außenlagern den Tod. Erst auf Betreiben von überlebenden Opfer wurde 1965 die KZ-Gedenkstätte in dem ehemaligen Lager eröffnet. 2005 wurde vom Bahnhof zum Lagereingang der „Weg des Erinnerns“ – entlang dem Weg der Häftlinge in das Lager – mit Schautafeln angelegt und ein Gutachterwettbewerb für das Besuchergebäude ausgeschrieben. Florian Nagler erhielt dabei mit seinem Konzept einen Ort und kein Gebäude für diese Funktion zu errichten, den Auftrag zur Verwirklichung seines Entwurfs.

Sein quadratischer Gebäudekomplex ist an der Kreuzung zwischen dem Weg des Erinnerns und einem neuen Fußgängerweg vom Parkplatz über eine Brücke zum Lagereingang – dem Jourhaus – errichtet. Es befindet sich an einer Ansammlung alten  Birken und greift als Verkleidung von Holzstützen für das Gebäudes den vertikalen Baumbewuchs auf. Gebäude und Umgebung gehen ineinander über.

In dem 36 mal 36 Meter großen Bau sind drei grüne Innenhöfe untergebracht, die die Verbindung mit der umgebenden Natur des Innenraum fließend machen und verstärken.

 

Die Besucher betreten über einen großen Innenhof im Nordosten das Gebäude. Über zwei gläserne Schiebetüren gelangen sie in einen großen Raum des Informationszentrums an deren anderem Ende sich eine Theke mit den Mitarbeitern des Zentrums befinden. Dieser große nahezu leere Raum dient als Foyer und kann für Veranstaltungen genutzt werden. Rechts direkt an der Eingangszone befindet sich ein Buchladen mit Fachliteratur zu dem Lager. Im Südwesten folgt ein weiterer Innenhof und das Cafeteria. Im Westen ist die Küche und im Zentrum der dritte Innenhof und die sanitären Anlagen untergebracht.

Die innere und äußere Erscheinung des Flachbaus wird von insgesamt 460 Fassadenstützen aus Balken von Douglasienholz bestimmt.Sie wurden in meist senkrechten, zum Teil aber auch in leicht schräger Stellung zwischen der Bodenplatte und dem Dach aus Beton vor der durchgehenden Fensterfront der Gebäudes eingefügt. Für die Verbindung der Balken wurde ein spezielles Stahlrohr mit einer Halbkugel konstruiert, damit die Stützen mit unterschiedlicher Neigung aufgestellt und bei Bedarf auch ausgewechselt werden können. Die Materialien sind in hellgrauen und in sandfarbenen Tönen gehalten. Das sägeraue Holz der Balken  wurde silbriggrau lasiert, der Betonboden wurde sangestrahlt. Das Innere des Gebäudes ist hell, filtert aber das Licht durch die Holzbalken.

„Florian Nagler ist eine Synthese geglückt; das Besucherzentrum genügt nicht nur den funktionalen Anforderungen, sondern es fügt sich in den schwierigen Ort harmonisch ein, ohne sich zu verstecken.“ Irene Meissner: Besuchergebäude Kz Gedenkstätte Dachau; in Deutsches Architekturjahrbuch 2010/11

 

Lehre und Forschung

Gast- und Vertretungsprofessuren führten Nagler an die Gesamthochschule Wuppertal, die Königlich Dänische Akademie in Kopenhagen und die Hochschule für Technik in Stuttgart. Er ist Gründungsmitglied der Stiftung Baukultur und seit 2010 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Baukunst in Berlin. Professor Florian Nagler ist Inhaber des Lehrstuhls Entwerfen und Konstruieren der Technischen Universität München (TUM), der sich vorrangig mit methodischem Entwerfen und den Fragen der direkten Umsetzung von analytischen Studien in konkrete Entwürfe beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit der materiellen Präsenz der Dinge steht dabei von Anfang an mit im Vordergrund.

Werke (Auswahl)

2000: Aufstockung Haus Fiedler, Penzberg

2001: Kulturhaus Ramersdorf-Perlach, Hans-Seidl-Platz 1, Neuperlach, München

2003: Datenwerk, Joseph-Wild-Str. 13, Messestadt Riem, München

2004: Kirchenzentrum Messestadt Riem, Erika-Cremer-Straße, Messestadt Riem, München

2005: Zentrale Einrichtungen Fachhochschule Weihenstephan, Freising

2005: Haus Szynka, Attenhausen

2003: Neubau Firmensitz BASS, Niederstetten

2003: Umbau Wohnhaus, Gräfelfing

2005: Besuchergebäude KZ Gedenkstätte Dachau, Dachau

2005: Kuhstall Thankirchen

2007: Umbau und Erweiterung Tannerhof, Bayrischzell

2009: Kultur und Kongress Forum Altötting, Altötting

2011: Umbau Haus Kley, Langenargen am Bodensee

2014: Atelier, Werkstatt und Lager, Gleißberg

2015: 3. Bauabschnitt FU Berlin, Berlin

2015: Schmuttertal-Gymnasium (Arge mit Hermann Kaufmann ZT), Diedorf bei Augsburg

2015: Wohnen für Alle (mit GEWOFAG-Planung) Dantebad, Moosach, München

2017: Vereinsgebäude Waldbad, Taufkirchen an der Vils

2017: Hofgut Karpfsee, Bad Heilbrunn

2018: Eingangsgebäude Freilichtmuseum Glentleiten, Großweil

2018: Wiederaufbau St. Martha Kirche, Nürnberg

2018: Station 4 der 16 Stationen im Rahmen der Remstal Gartenschau Gartenschau Schwäbisch Gmünd, 

2020: Drei Forschungshäuser (Dammziegel, Massivholz, Leichtbeton), Bad Aibling

2021: in Planung: Wohnquartier in Holzbauweise, Bayrischzell

2021: in Planung, drei Forschungshäuser für Studentenwohnungen, Garching

Auszeichnungen und Preise (Auswahl)

2000: Balthasar-Neumann-Preis 2000 für das Distributionszentrum der Kaufmann Holz AG

2001: European Union Prize - Mies van der Rohe Award 2001  Special Mention  (2001)

2007: Förderungspreis der Berliner Akademie der Künste in der Sparte Baukunst 

2009: Deutscher Holzbaupreis für den Kuhstall in Thankirchen 

2010: BDA Preis Bayern für das Besuchergebäude Gedenkstätte Dachau 

2017: Deutscher Holzbaupreis für Schmuttertal Gymnasium

2017: Deutscher Architekturpreis 2017 für Schmuttertal Gymnasium

2018: Deutscher Bauherrenpreis für Wohnen für Alle am Dantebad

2019: BDA-Preis Bayern für Wohnen für Alle am Dantebad

Weitere Informationen

Unter der Internetseite von Nagler Architekten.   

 

Quellen: http://www.competitionline.com/de/nagler-architekten

http://www.professoren.tum.de/nagler-florian/

Bildnachweis Fotos von Ulrich Lohrer