Visionär des neuen Bauens

Von sich selber sagt er „Ich habe wenig gebaut – ich habe viel Luftschlösser  ersonnen“. Doch die Ideen des Visionärs Frei Otto , die er – meist zusammen mit anderen Architekten – realisieren konnte, gelten heute als stilbildend. Er ist der Erfinder des Zeltdaches des Stadions und der Hallen für die Münchner Sommerolympiade 1972.  Er gilt als Pionier der biomorphen Architektur  sowie des textilen Bauens – und mischt sich  86-jährig engagiert noch in aktuelle Diskussionen wie zum Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs ein.

 

Der Name Frei Otto sorgt für Verwirrung über die Anordnung der  Namensteile. Tatsächlich ist Frei der Vor- und Otto der Familienname. Als der Sohn von Künstlern am 31. Mai 1925 in Siegmar bei Chemnitz geboren wurde, gab ihm seine Mutter mit  „Frei“ ihr Lebensmotto als Name.  Frei Ottos wollte zunächst wie sein Vater und Großvater Bildhauer werden , entdeckte über das Segelfliegen aber seine Begeisterung für die Leichtbauweise. 1943 begann er an der Technischen Hochschule Berlin Architektur zu studieren, musste aber im selben Jahr sein Studium unterbrechen, da er für den Kriegsdienst   als Kampfpilot ausgebildet und eingesetzt wurde. Als er in französische Kriegsgefangenschaft geriet, beteiligte er sich mit mehreren Bauten für die Kriegsgefangenen in einer kostengünstigen Leichtbauweise.

1948 nahm er das Studium der Architektur an der TH Berlin wieder auf, studierte aber 1950  ein halbes Jahr in den USA, wo er die führenden Architekten Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe, Richard Neutra, Frank Lloyd Wright sowie Fred Severud kennenlernte. In den 1960er Jahren korrigierte er auf Wunsch des mit ihm befreundeten Mies van der Rohes  dessen Statik der Neuen Nationalgalerie in West-Berlin, indem er die vier Hauptstützpfeiler um zwei unscheinbare Streben an jeder Seite ergänzte. 1954 stellte er seine Doktorarbeit mit dem Titel „Das hängende Dach“ fertig.   Bereits 1952 hatte Otto in Berlin sich mit einem eigenenen Architekturbüro selbständig gemacht. 1957 gründete er die   Entwicklungsstätte für den Leichtbau.

Seine Ideen suchte Otto auch wissenschaftlich zu fundieren. 1958 war er als Gastdozent an der Hochschule für Gestaltung in Ulm tätig, an der er eine Reihe von Projekten leitet. An der Technischen Hochschule Berlin gründete er 1961 die Forschungsgruppe Biologie und Bauen. Er gilt daher auch als Pionier auf dem Gebiet der biomorphen Architektur. Er zählt daher neben Richard Buckminster Fuller und Santiago Calatraca zu den wichtigsten Vertretern einer Organischen Architektur. 

Das Institut für Leichte Flächentragwerke (IL), welches Otto 1964 an der Technischen Hochschule Stuttgart gründete, diente als Modell für den deutschen Pavillon bei der Expo 67 in Montreal. In seinem Institut entwickelte er im Austausch mit Biologen wie Johann-Gerhard Helmcke, Medizinern und Paläontologen natürliche Konstruktionen, die auf pneumatischen und biologischen Konstruktionsprinzipien basieren. So etwa gestaltete er 1960 einen freistehenden Glockenturm einer Kirche in Berlin-Zehlendorf nach einem Skeletts der Kieselalge.  Weltweite Bekanntheit erlangte Otto jedoch durch seine Dachkonstruktionen. Die optimale Form seiner Dächer entwickelte Otto anhand von Experimenten mit Drahtmodellen, die er in Seifenlauge tauchte und die dann von Seifenblasen mit der geringstmöglichen Kohärenz überspannt wurden. Zudem experimentierte er mit der Pneu, Gitterschalen und Seilnetze. Letzteres Prinzip übertrug er auf Seilnetze. Nach diesem Verfahren der Formgebung gestaltete er auch Gitterschalen aus langen Holzlatten wie weltweit erstmalig mit der Multihalle in Mannheim. Bekanntestes Werk ist aber die gemeinsam mit Günter Behnisch realisierte Überdachung der wichtigsten Sportstätten am Olympiagelände in München.  Daneben zählt auch die luftige Großvoliere im Tierpark Hellabrunn zu Ottos in München realisierte Werke.  ist mittlerweile zu einem Wahrzeichen des Tierparks geworden. Zusammen mit seinem Schüler Mahmud Bodo Rasch und dessen Architekturbüro Rasch + Bradatsch arbeitete er an Konstruktionen des textilen Bauens, etwa an den  Zeltdachkonstruktionen in Mekka, aber auch für einmalige Projekte wie für die Pink Floyd Tournee gestaltete Schirme.  Für das Projekt Stutgart21 entwarf er zusammen mit Christoph Ingenhoven die Lichtaugen. 

Frei Otto ist heute noch als Architekt in seinem Atelier Warmbronn bei Leonberg zusammen mit seiner Frau Ingrid und seiner Tochter Christine Kanstinger tätig.

 

 

Sternwellenzelt für den Tanzbrunnen im Rheinpark Köln (1957)

Ende des Jahres 1953 erhielt Köln den Zuschlag die Bundesgartenschau 1957 auszurichten. Unter der Leitung der Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher, der Gartenarchitekten Günther Schulze und Joachim Winkler   begannen die Planungen der „BUGA“. Als Attraktion auf dem noch vom Krieg verwüsteten Rheinpark wurden mit Wasserspielen versehene Teiche angelegt. Für den Tanzbrunnen konnte Frei Otto auch seine Zeltkonstruktion „Sternenwellenzelt realisieren.

 

 

 

 

Deutscher Pavillon für die Expo 67 in Montreal

Der mit dem Architekt Rolf Gutbrod gestaltete Bau war Ottos erstes Großprojekt. Die riesige Zeltkonstruktion hielt mit Hilfe von acht Masten ein weißes Kunststoffnetz an 31 Ankerpunkten. Das Zelt war 130 Meter lang, 105 Meter breit und bedeckte eine Fläche von 8000 Quadratmetern. Die Masten ragten zwischen 14 bis 38 Meter in die Höhe. Ein umlaufendes Seil begrenzte am Rand die Dachfläche an den 31. Ankerpunkten. Eine von Otto ebenfalls geplante Gartenterrasse wurde jedoch nicht verwirklicht. Der Pavillon präsentierte die deutsche Ingenieurskunst sowie die wissenschaftlichen Beiträge. 

Der vielbeachtete Pavillon der Deutschen erhielt den nach Auguste Perret benannten internationalen Architekturpreis Prix Perret. Der Deutsche Pavillon wurde von der Bundesregierung der Stadt Montreal überlassen, einige Jahre später aber wieder abgebaut.

 

 

 

 

 

Olympiadach in München (1972)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Architekturbüro Behnisch & Partner in Stuttgart mit Fritz Auer, Carlo Weber und Jürgen Joedicke sowie dem Schweizer Ingenieur Heinz Isler gewann 1967 den Ideenwettbewerb für das Münchner Olympiagelände. Für die Jury unter dem Vorsitz des renomierten Architekten Egon Eiermann war für das  transparentes, ungewöhnliches und innovatives Zeltdach des Entwurfs ausschlaggebend für den Wettbewerbssieg. Völlig unklar war jedoch, ob ein solches Dach in diesem Ausmaß auch realisierbar wäre. Vorbild für den Entwurf war das Ottos und Gutbrodts  Zeltdach für den Deutschen Pavillon bei der Weltausstellung 1967 in Montreal (siehe oben).

Nach dem Gewinn des Wettbewerbs holte Günter Behnisch Frei Otto als Berater für den Formfindungsprozess ins Team. Um die Aufgabe bewältigen zu können wurde als Tragwerksplaner der Bauingenieur Jörg Schlaich sowie weitere Mitarbeiter von Fritz Leonhardt, der Erbauer des Stuttgarter Fernsehturms beteiligt. 

 

Frei Ottos Zeltdachkonstruktion für den Olympiapark prägt in ihrer Erscheinung den gesamten Olympiagelände  galt zur Zeit ihrer Errichtung als eine optische und statische Sensation galt. Die 74.800 Quadratmeter große, auf 58 Stahlmasten hängende und aus lichtdurchlässigem Plexiglas bestehende Konstruktion überspannt das Olympiastadion, die Olympiahalle und die Olympia-Schwimmhalle. Die leicht wirkende Zeltdachkonstruktion steht symbolisch für das Flüchtige und Wandelbare in unserer Welt.

Ursprünglich sollte die Konstruktion nach den Olympischen Spielen abgebaut werden. Das Echo der Weltpresse, die hier den Charakter der „leichten Spiele“ am besten widergespiegelt sah, verhinderte eine Demontage. Ende der 1990er Jahre wurde das Zeltdach generalsaniert. Seitdem ist der alte, lichtdurchlässige Eindruck wieder vorhanden. Der Bereich über dem Olympiastadion kann im Rahmen von geführten Touren („Roof Top Tour“) in den Sommermonaten bestiegen werden.

 

 

 

Multihalle in Mannheim (1975)

Das Gebäude wurde nach den Entwürfen von Carlfried Mutschler, Joachim Langner und Frei Otto im Mannheimer Herzogenriedpark anlässlich der Bundesgartenschau 1975 errichtet. Dafür wurden 1970 zwei Wettbewerbe ausgeschrieben, bei denen Architekten und Landschaftsarchitekten ihre Vorstellungen über die beiden Gartenschaugelände vorstellen sollten. Preisträger für den Bereich des Herzogenriedparks war das Architekturbüro Carlfried Mutschler + Partner, Mannheim. Der Wettbewerbsplan sah als zentralen Bereich einen großen, überdachten Treffpunkt für verschiedene Aktivitäten und ein Café in Form einer luftigen Holzkonstruktion mit Sitzterrasse am Wasser vor. Nach der Idee von Frei Otto wurden schließlich  Gitterschalen als Konstruktionslösung realisiert. Ausgangsbasis war Frei Ottos Drahtmodell des Vorentwurfs. Mit Hilfe von Zwirnfaden konnte die Länge und Breite der Fläche annähernd abgewickelt werden. Dieses hängende Netz simulierte die Gittermaschen des späteren Gitterrostes aus Holz. Die Multihalle ist eine Halle mit einem mehrfach gekrümmten Gitter aus Holzleisten.  Mit der Konstruktion wurden auch die Standorte der verschiedenen Funktionen festgelegt: Die Besucher sollten in zwei Ebenen - vom Aerobusbahnhof und von der Parkebene - in die Halle geführt werden.

 

 

Voliere im Tierpark Hellabrunn, München (1980)

Um 1970 war der Tierpark in einem schlechten Zustand und viele Renovierungen und Neubauten waren überfällig. Daher stellte man 1972 einen Generalausbauplan zur Erneuerung der Tierparkanlage auf, die Stadt München stellte dafür größere Zuschüsse zur Verfügung. Ab 1972 nahm man die grundlegende Erneuerung fast aller Anlagen in Angriff. 1980 errichtete man nach dem Entwurf von Frei Otto eine große Voliere,  einen Käfig mit Freiflugraum für Vögel. Als ein 18 Meter hohes dünnmaschiges Edelstahlgewebe überspannt sie eine Fläche von 5.000 Quadratmeter. Die Großvoliere ein Wahrzeichen von Hellabrunn geworden.

 

Frei Otto starb am 9. März 2015 in seiner schwäbischen Wahlheimat Warmbronn in Leonberg. Einen Tag danach verkündete die Jury des renommierten Pritzker-Preis, dass Frei Otto den Architekturpreis 2015 posthum erhält.

Ulrich Lohrer, Ersterstellung: 31.01.2012, zuletzt aktualisiert: 11.03.2015

 

Bilder: Deutscher Pavillon für Expo 67 in Montreal (Briefmarke): Deutscher Pavillon bei der Weltausstellung in Montreal 1967; Karen Scholz, für die Bundesministerium der Finanzen und die Deutsche Post AG; Luftbild Olympiastadion München: Olympiapark München GmbH,  Multihalle in Mannheim: public park "Herzogenriedpark", Immanuel Giel; sonst Ulrich Lohrer und © Atelier Frei Otto Warmbronn

 

Weitere Information:

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