
Frank Owen Gehry: Der führende Dekonstruktivist
Aus Sperrholz und Wellblech baute der gebürtige Kanadier Häuser, aus Wellpappe Möbel. Mit dem Bau eines Möbel-Museums in der badischen Provinz und tanzenden Häuser in Prag wurde er international berühmt. Und er schuf den Mythos des Bilbaos-Effekts.
Frank Owen Gehry wurde als Sohn des Glückspielmaschinenverkäufer Irving Goldberg und seiner Frau Thelma Goldberg am 28. Februar 1929 unter dem Namen Frank Owen Goldberg in Toronto, Kanada, geboren. Aus Abfällen des großväterlichen Eisen- und Haushaltswarenladens bastelte er als Junge seine ersten Häuser und Städte zusammen.
An der University of Southern California (USC) in Los Angeles studierte Frank Owen Goldberg bis 1954 Architektur. Weil seine erste Frau Anita unglücklich mit seinem Nachnamen war, schlug sie ihm daher um diese Zeit mit ihrer Mutter 1954 vor, Goldberg in den weniger jüdisch klingenden Namen Gehry zu ändern, was er tat. Er nahm ein Zweitstudium für Stadtplanung an der Harvard Graduate School of Design auf, übte verschiedene Tätigkeiten aus und arbeitete seit 1957 für Viktor Gruen Associates.
Bürogründung, erste Arbeiten, Stil
Seit 1962 betreibt er ein eigenes Architekturbüro in Los Angeles unter dem Namen Gehry Partners, LLP. Zu Anfang seiner Karriere baute Gehry konventionell. Gegen Ende der 1970er Jahre veränderte er seine architektonische Formensprache, indem er begann, vermeintlich „ärmliche“ Materialien wie Sperrholz, Wellblech und im Möbelbau sogar Wellpappe einzusetzen. Charakteristisch für Gehrys Baustil sind seitdem abgewinkelte Ebenen, kippende Räume, umgekehrte Formen und eine gebrochene Geometrie.
Seine dekonstruktivistische Bauten haben einen collagenhaft aufgebauten Charakter, indem auseinanderstrebende Bauelemente verknüpft werden, die ein Ineinanderfließen der Räume realisieren sollen. Anfänglich hatte er Schwierigkeiten, Bauherren für seine Ideen zu finden. Seine zweite Frau Berta Isabel Aguilera ermutigte ihn, ihr Wohnhaus in Santa Monica (Bild links) nach seinen Vorstellungen kühn umzugestalten und zu erweitern.
Internationaler Durchbruch mit dem Vitra-Design-Museum
Rolf Fehlbaum, der Inhaber der Möbelfirma Vitra, plante ein Gebäude für eine dauerhafte Ausstellung seiner Stuhl- und Möbelsammlung. Für den Bau seiner Fabrikationshalle hatte er bereits mit dem Briten Nicholas Grimshaw einen international bekannten progressiven Architekten engagiert. Schließlich entwarf Gehry (mit Günter Pfeifer) ein Museum (Bild links unten) und ein dahinter liegendes Produktions- und Verwaltungsgebäude, das 1989 nach dreijähriger Bauzeit im badischen Weil am Rhein bei Basel fertig gestellt wurd. Mit dem Bau wandte sich Gehry von seinen bis dahin verwendeten Materialien ab. Statt einer Mischung unterschiedlichster Baustoffe beschränkte er sich auf weißen Putz und Titanzink für die Fassade.
Auf dem Vitra-Gelände folgten später Bauten von Zaha Hadid, Tadao Ando, Álvaro Joaquim de Melo Siza Vieira sowie von Herzog & de Meuron, die heute zu den renommiertesten zeitgenössischen Architekten gehören. Beim Vitra Museum handelte es sich um Gehrys erstes Gebäude in Europa, der in der Folge vermehrt in Deutschland, Frankreich, Spanien und der Tschechischen Republik Bauten (z. B. Tanzende Häuser in Prag, Bild links unten) realisierte.
Pritzker-Preis und Etablierung des Dekonstruktivismus
1988 inszenierte der amerikanische Architekt Philipp Johnson, Heiko Herden und Mark Wigley im Museum of Modern Art in New York City die Ausstellung „Deconstructivist Architecture“. Gezeigt wurden Werke von Architekten, die als führende Vertreter dieser Stilrichtung galten: Frank Gehry, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas, Peter Eisenmann, Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au und Bernhard Tschumi. Da Frank Gehrys Wohnhaus in Santa Monica als das erste dekonstruktivistische Bauwerk gilt, wurde er auch als der führende Vertreter dieser Stilrichtung angesehen, bei der Struktur und Form simultan einer Destruktion und einer erneuten Konstruktion unterzogen wurde.
Philipp Johnson hatte als erster Architekt den Pritzker-Architektur-Preis erhalten und übte auf dieses Gremium auch einen bedeutenden Einfluss aus. 1989 erhielt Frank Gehry den renommierten Pritzker-Preis. Aus dem sonderbaren Architekten in Santa Monica mit dem seltsamen Baustil wurde ein internationaler Stararchitekt. In den folgenden Jahren erhielt Gehry weitere Auszeichnungen und Ehrungen, wie den Praemium Imperiale (1992) und die Mitgliedschaft zur National Academy of Design (1994) sowie die National Medal of Arts durch den amerikanischen Kongress. Bald folgten auch Großaufträge zum Bau des American Center in Paris, dem Neuen Zollhof im Medienhafen in Düsseldorf und vor allem dem Guggenheim-Museum in Bilbao.
Das Guggenheim-Museum und der Bilbao Effekt
Anfang der 1990er-Jahre beschloss die Salomon R. Guggenheim Foundation ein Museum außerhalb der USA in Spanien zu errichten. Die Wahl fiel auf die von Arbeitslosigkeit und Umstrukturierungen geplagte baskische Hafenstadt Bilbao, Architekt wurde Frank Gehry. Das Konzept des ovalen dekonstruktivistischen Gebäudes mit seinem auffälligen Titandach wurde 1993 vorgestellt. Die Bauzeit betrug vier Jahre. Das Guggenheim-Museum Bilbao (großes Bild oben, Bild links unten)mit einer Ausstellungsfläche von 11.000 Quadratmetern wurde in der geplanten Bauzeit und im Budget errichtet, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde zur bedeutendste Sehenswürdigkeit der Stadt.
Aufgrund der magnetischen Anziehung und der Belebung der Region war bald von dem Bilbao-Effekt die Rede. Dabei wird die gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre Bauten von Architekten verstanden, der sich auf das ganze Land auswirkt. Voraussetzung war in Bilbao aber auch die Integration der sich über 15 Kilometer hinziehenden Stadtteile durch die Modernisierung der von Norman Foster geplanten Metro.
Kritiker bestreiten, dass der Bilbao-Effekt wirklich einer Kosten-Nutzen-Analyse standhalten würde, da sich die Investitionsumme des Guggenheim-Museum Bilbao letztlich nicht amortisiert habe.
Dekonstruktivismus als corporate branding
In der von Vanity Fair durchgeführten Umfrage World Architecture Survey unter 52 führenden Architekten, Hochschullehrer und Architekturkritiker erhielt das Guggenheim Museum Bilbao von Frank Gehry mit 28 Stimmen die mit Abstand höchste Zustimmung für die bedeutendste Architekturarbeit seit 1980. Gehry, mittlerweile im 9. Lebensjahrzehnt, baut längst nicht mehr selber Möbel aus Wellpappe und Häuser aus Wellblech, sondern steht einer riesigen Architekturunternehmen vor, dass Gebäude für Großkonzerne wie Novartis, Walt Disney oder Louis Vuitton entwirft. Zu den jüngsten Bauten gehören ein 78-geschossiger Wolkenkratzer mit Luxuswohnungen in 8 Spruce Street New York City und die neue Firmenzentrale von Facebook im kalifornischen Menlo Park.
Kritiker wie der Kunsthistoriker Harold Foss Foster monieren, dass Gehry Architektur in erster Linie im Dienste des „corporate branding“ von Unternehmen stehe. Kritisiert wird aber auch Gehrys unökonomische Architektur, die Ressourcen verschwende, weil sie viele Formen ohne Funktionen aufweise.
Werke (Auswahl)
1972: Wohnhaus und Studio für Ronald Davis, Malibu, Kalifornien, USA
1974: Hauptverwaltung der Rouse Company, Columbia, Maryland, USA
1978: Gehry Residence, Santa Monica, Kalifornien, USA
1984: California Aerospace Museum, Los Angeles, USA
1980: Einkaufszentrum Santa Monica Place, Santa Monica, Kalifornien, USA
1984: Aerospace Museum im California Science Center, Los Angeles, Kalifornien, USA
1984: Niederlassung der Werbeagentur Chiat Day, Venice in Los Angeles, Kalifornien, USA
1984: Wohnhaus Norton (Bild links), Venice in Los Angeles, Kalifornien, USA
1989: Vitra Design Museum, Weil am Rhein, Deutschland
1992: Vergnügungsviertel im Disneyland Ressort Disney Village bei Paris
1993: Weisman Art Museum, University of Minnesota, Minneapolis, USA
1994: Cinémathèque française (ehemals: American Center, Paris, Frankreich
1994: Vitra Center, Birsfelden bei Basel, Schweiz
1995: Energie – Forum – Innovatio, Bad Oynhausen
1996: Tanzendes Haus (mit Vlado Milunic) in Prag, Tschechische Republik
1997: Guggenheim Museum (Bild oben), Bilbao, Spanien
1999: Neuer Zollhof im Medienhafen, Düsseldorf
2000: Museum Experience Music Project (EMP), Seattle, Washington, USA
2001: DZ Bank, Berlin
2001: Gehry-Tower, Hannover
2003: Richard B. Fisher Center for the Performing Arts, Bard College, New York, USA
2003: Walt Disney Concert Hall (Bild links), Los Angeles, Kalifornien, USA
2004: Ray and Maria Stata Center im MIT, Cambridge, USA
2004: Pritzker Pavillon, Chicago, USA
2005: Museum Marta Herford, Herford
2006: Hotel Marqués de Riscal, Elciego, Baskenland, Spanien
2008: Art Gallery of Ontario, Toronto, Kanada
2009: Hauptgebäude des Novartis-Campus, Basel, Schweiz
2009: Danish Cancer Society Counseling Center, Aarhus, Dänemark
2010: Lou Ruvo Center, Las Vegas, USA
2010: Ohr-O'Keefe Museum Of Art, Biloxi, Mississippi, USA
2011: Beekman Tower 8 Spruce Street, New York City, USA
2011: Opus Hong Kong in 53 Stubbs Road, Hongkong, China
2011: New World Center, Miami Beach, Florida, USA
2012: Pershing Aquere Signature Center, New York City, USA
2012: Duplex Residence, New Orleans, Louisiana, USA
2013:Maggie´s Hong Kong, Hongkong, China
2014: Museo de la Biodiversidad oder BioMuseo, Panama City, Panama
2014: Stiftung Louis Vuitton, Paris, Frankreich
2015: Facebook-Campus, Menlo-Park, Kalifornien, USA
Bildnachweis: Frank O. Gehry - Parc des Ateliers on Flickr, Foto: https://www.flickr.com/photos/eager/4887026398; Frank Gehry's house in a posh area in Santa Monica, CC BY 2.0, Foto: IK's World Trip; Vitra Design Museum in Weil am Rhein von Osten, CC BY-SA 3.0, Foto: Wladyslaw; Guggenheim Museum Bilbao, CC BY-SA 3.0, Fotograf: MykReeve; Guggenheim Museum Bilbao von Nordwesten, CC BY-SA 3.0, Foto: Phillip Maiwald; Tanzendes Haus (Ginger and Fred), in Prag, Fotograf: Daniel van der Ree; Biodiversidad Museum in Panama-Stadt, CC BY-SA 3.0, Foto: Editorpana; Lou Ruvo Center for Brain Health in Las Vegas, Nevada/USA, Foto: Monster4711; Beekman Tower in New York City, CC0, Foto: Jim.henderson; Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, Foto: Carol M. Highsmith;