Rem Koolhaas: Vordenker der urbanen Verdichtung

Der niederländische Architekt Rem Koolhaas gilt nicht nur als einer der führenden Architekturtheoretiker, der sich für eine Kultur der Verdichtung in den Großstädten ausspricht. Mit seinem Architekturbüro OMA hat er mit spektakulären Bauten auch seine Philosophie umgesetzt.

 

Rem Koolhaas wurde am 17. November 1944 in Rotterdam als Sohn des Schriftstellers, Kritiker und Drehbuchschreiber Anton Koolhaas und Selinde Pietertje Roosenburg geboren. Sein Großvater von mütterlicher Seite, Dirk Roosenburg (1887–1962), war ein modern ausgerichteter Architekt, der, bervor er sein eigenes Büro gründete, für den bekannten niederländischen Architekten Hendrik Petrus Berlage gearbeitet hatte. Rems Vater Anton hatte sich stark für die Unabhängigkeit der niederländischen Kolonie Indonesien eingesetzt und wurde für den Aufbau eines Kulturprogramms nach der Unabhängigkeit Indonesiens nach Jakarta eingeladen, wo Rem mit seiner Familie zwischen 1952 bis 1955 lebte. „Es waren für mich sehr wichtige Jahre und ich lebte dort wie ein Asiate“, so Rem Koolhaas später.

Tätigkeit als Drehbuchschreiber und Journalist

Ab Ende der 1960-er Jahre schlug Rem Koolhaas den Beruf seines Vaters ein und schreib Drehbücher und arbeitete als Journalist und Kritiker für die Haagse Post. Die Zeitung experimentierte in den Jahren der Studentenrevolte mit neuen Formen des Journalismus. Koolhaas interviewte für die Haagse Post unter anderem den Künstler Constant (eigentlich Constant Anton Nieuwenhuys, 1920 – 2005), der 1948 mit Asger Jorn in Paris die einflussreiche Künstlergruppe CoBra gegründet hatte. Constant hatte sich mit Architektur beschäftigt und zwischen 1959 und 1969 das utopische Projekt New Babylon entwickelt. Dieses sah den Entwurf einer Infrastruktur für eine postindustrielle Gesellschaft von neo-nomadischen Menschen die vom Spiel (hominis ludentes) geprägt sein sollen als Gegenentwurf einer nutzenorientierten (utilitaristischen) Gesellschaft der Gegenwart. Dass Gespräch prägte Koolhaas stark und bezeichnete Constant als einen seiner größten Einflüsse.

Studium und Lehrjahre als Architekt

Zwischen 1968 und 1972 studierte Koolhaas Architektur an der Architectural Association School of (AA) in London. Unter der Leitung von Alvin Boyarsky war damals das AA in den 1970er Jahren ein Zentrum für die Gegenbewegung der vorherrschenden Architektur der Postmoderne. Anschließend arbeitete er in den USA bei dem Kölner Architekten und Architekturtheoretiker Oswald Mathias Ungers (1926 – 2007) an der Cornell University in Ithaca, der dort eine Professur hatte.

Gründung des Office for Metropolitan Architecture (OMA)

Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Madelon Vriesendorp und den griechischen Architekten Elia und Zoe Zenghelis gründete er 1975 in London das Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA). Zudem lehrten er und Elia Zenghelis als Dozenten an der AA, wo sie die Architekturstudentin Zaha Hadid kennenlernten und zeitweilig als Mitarbeiterin für OMA gewannen.

Obwohl Koolhaas als Kritiker der postmodernen Architektur großen Einfluss ausübte, konnte das Architekturbüro lange Zeit kaum eigene Entwürfe realisieren. So stammte von OMA der Entwurf für eine Residenz des Premierministers von Irland (1979), eine der wenigen nicht postmodernen Beiträge in der Architekturbiennale in Venedig 1980 sowie ein unrealisierter Entwurf für den Parc de la Villette in Paris.

Delirious New York

Während einer Gastprofessor an dem vom amerikanischen Architekten Peter Eisenmann geleiteten Think Tank „The Institute for Architecture & Urban Studies“ in New York City im Stadtteil Manhattan entstand Rem Koolhaas einflussreiches Buch „Delirious New York: A Retroactive Manifesto of Manhattan“. Darin interpretiert er Manhattan als das typische Beispiel der Großstadt, deren Charakter sich vor allem in der „Culture of congestion“ („Kultur der Verdichtung“) manifestiert. Die Dichte der Großstadt und ihre verwirrende innere Widersprüchlichkeit in ästhetischer, sozialer und kultureller Hinsicht machen nach dieser Interpretation deren Reiz und Qualität aus.

„The City is an addictive machine from which there is no escape." Laut Koolhaas ist die Großstadt eine Sammlung “red hot spots.” Wie Koolhaas zugab, wurde er mit seiner Ansicht damals von der japanischen Bewegung der Metabolisten in den 1960-er bis Anfang der 1970er beeinflusst. 

Stadtplanung und erste größere Bauten von OMA

Erst Anfang der 1980er Jahre wurden die ersten Bauwerke nach seinen Entwürfen realisiert. Im Norden von Amsterdam entstand das Quartier IJ-plein, für das Koolhaas des Masterplan zeichnete sowie für den Bau einiger Wohngebäude, des Gemeinschaftszentrums und der Schule errichtete. Zwischen 1980 und 1987 entstand in Den Haag die Spielstätte für das Nederlands Dans Theater.

 

Schließlich wurden auch mit dem Haus am Checkpoint Charlie (siehe Bild links) in Berlin und dem Nexus Haus in Fukuoka, Japan, erste Projekte im Ausland realisiert. Mit dem Bau des Kunstsal in Rotterdam war Koolhaas und seine OMA endgültig etabliert.

XL-Architektur und Generic City

1995 veröffentlichte Koolhaas in Zusammenarbeit mit dem Grafikdesigner Bruce Mau das Manifest „S, M, L, XL“. Das über 1300 Seiten dicke Buch enthielt viele Texte, die maßgeblichen Einfluss auf die Architektur- und Designtheorie haben sollte. Besonders wurde darin von Koolhaas die These vertreten, dass traditionelle Prinzipien der Architektur wie Komposition, Skalierung, Proportion und Details bei der Gestaltung von sehr großen Gebäuden („Bigness“) nicht mehr gelten würden. Was darunter zu verstehen sei, demonstrierte OMA bei der Planung des neuen Stadtzentrums Eurolille in der französischen Stadt Lille, dass durch die Verbindung von Paris und London mit dem Channel Tunnel als Haltestelle aufgewertet wurde. 

In seinem Essay „The Generic City“ vertritt Kohlhaas zudem die Ansicht, dass sich eine Sztadt nicht planen lässt, sondern dass sie einfach entstehe. Stadt, Straße, Identität und Architektur seien Begriffe, die der Vergangenheit angehören. Und die Vergangenheit sei zu klein, um darin zu wohnen. Die Generic City sei dagegen die Kultur unserer Zeit.

Die Ideen gewannen zunehmend Anhänger, heute weltweit erfolgreiche Architekturbüros wie das deutsch-chinesische Büro Ole Scheeren, die dänische B.I.G., die niederländische MVRDV, die deutsche Sauerbruch Hutton oder Zaha Hadid Architecture in London werden von ehemaligen Koohlhaas-Mitarbeitern geleitet. Im Jahre 2000 wurde Koolhaas mit dem Pritzker-Preis die bedeutendste Architekturauszeichnung verliehen, 2003 folgte die Verleihung des Praemium Imperiale.

Bigness De Rotterdam

Koolhaas ´Auffassungen über die „Generic City“ und „XL-Architektur“ hatten in den Niederlanden einen weitgehenden Einfluss, sowohl auf den modernen als auch auf den historischen Städtebau. 1998 entwarf er für Rotterdam das größte Gebäude der Niederlande in Bezug auf das Bauvolumen. Das als „Vertikale Stadt“ oder als „De Rotterdam“ bezeichnete Megagebäude mit hat 44 Stockwerken wurde aber erst 2013 fertiggestellt und enthält Büros, Konferenzräumen, Hotels, Restaurants, Fitnessräumen und Wohnungen. De Rotterdam erscheint als eine große Wandscheibe von drei eng miteinander verbundenen Türmen.

Spektakuläre Projekte im Ausland

Seine Ideen zu den Großprojekten konnte Koolhaas zudem in den stark wachsenden Staaten in Asien verwirklichen. So wurde mit dem Shenzen Stock Exchange und dem China Central Television Headquarters (CCTV) in Peking riesige Hochhausobjekte errichtet. Vor allem das durch den damals 31-jährigen OMA-Partner Ole Scheeren aus Karlsruhe entworfene CCTV ist aufgrund seiner Größe (575,000 Quadratmeter) und der Form zweier versetzter Türme die in einer 160 Meter Höhe überhängenden winkligen Schleife verbunden sind, spektakulär.

 

Werke (Auswahl)

1980: Masterplan für IJ-plein , Amsterdam, Niederlande

1988: Nederland Dans Theater, Den Hague, Niederlande

1988: Masterplan für das Quartier Euralille, Lille, Frankreich

1987: Haus zur IBA am Checkpoint Charlie, Berlin

1991: Nexus Haus, Fukuoka, Japan

1993: Kunstsal, Rotterdam, Niederlande

1994: Lille Grand Palais, Lille, Frankreich

1994: Zénith de Lille., Lille, Frankreich

1997: Educatorium, Utrecht, Niederlande

1997: Educatorium, Utrcht, Niederlande

1991: Villa Dall Ava, Saint Cloud, Paris, Frankreich

1998: Maison Floriac á Bordeaux, Frankreich

2002: Niederländische Botschaft, Berlin

2002: Guggenheim Hermitage, Las Vegas, USA

2003: McCormick Tribune Campus Center, Ikllinois Instituts of Technology, Chicago, USA

2004: The Seattle Public Library, Seattle, USA

2005: Casa da Música, Porto, Portugal

2005: National University Museum of Art, Seaul, Südkorea

2006: 111 First Street, Jersey City, New York, USA

2006: Shenzen Stock Exchange, Shenzen, China

2006: Serpentine Galleries, London, Großbritannien

2006: Centro de Congresos de Córdoba, Córdoba, Spanien

2009: Dee and Charles Wyly Theatre, Dallas, Texas, USA

2010: New Court, St. Swithin's Lane, London, Großbritannien

2011: Central Chinese Television Headquarters (CCTV HQ – Entwurf von Ole Scheeren), Peking, China

2013: De Rotterdam, Rotterdam, Niederlande

2015: Taipei Performing Arts Centre, Taipei, China

2015: Erweiterung Fondazione Prada, Mailand, Italien 

Bücher

1978: Delirious New York: A Retroactive Manifesto of Manhattan

1995: S, M, L, XL (mit Bruce Mau, Jennifer Sigler, Hans Werlemann)

1998: Living Vivre Leben

2001: Mutations

2002: The Harvard Design School Guide to Shopping

2002: The Great Leap Forward

2004: Content

2011: Project Japan. Metabolism Talks...(mit Hans Ulrich Obrist)

 

Bildnachweis: großes Bild OMA-Projekt (Mitte) De Rotterdam, Fotos von Ossip van Duivenbode / Presse De Rotterdam;  Rem Koolhaas 26 January 1987, Foto: Bogaerts, Rob / Anefo; Cover von Rem Koolhaas´Buch „Delirious New York“ von Madelon Vriesendorp