Der Rekonstrukteur

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren große Teil Münchens zerstört. Die Rekonstruktion bedeutender Bauwerke ist einem jungen Denkmalpfleger und Architekten zu verdanken. Obwohl er dabei äußerlich auf eine Widerherstellung achtete, wurde das Innere der Gebäude oft nach modernen Maßstäben erstellt und ausgerichtet.

 

 

Erwin Schleich wurde am 20. April 1925 in München geboren, wuchs dort auf und studierte von 1947 bis 1951 an der Technischen Hochschule München Architektur.

 

Archäologe

Nach dem Studium machte er von 1951 bis 1953 als Referendar in der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen die Ausbildung zum Regierungsbaumeister. Dabei leitete er 1952 – erst 27-jährig – die Ausgrabungen in der Münchner Peterskirche und beteiligte sich zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten der Schlösserverwaltung, dem Architekten Rudolf Esterer, am Wiederaufbau dieses ältesten Münchner Kirchenbaus. „Als eigentliche treibende Kraft tratt erstmals Erwin Schleich in Erscheinung, der im Sinne Esterers federführend an den Planungen für den Wiederaufbau St. Peter beteiligt war. Seine Art der Rekonstruktion, die weniger auf eine exakte Kopie des Verlorenen als auf die Wiedergewinnung eines augenscheinlich stimmigen Gesamteindrucks abzielte, sollte wegweisend für viele weitere Rekonstruktionen in München unter seiner Leitung werden.“ (Nerdinger: Architektur der Wunderkinder , Seite 256)

Bereits 1950, noch als Student, hatte sich Schleich am Wiederaufbau der Klosterkirche St. Anna im Lehel beteiligt. Schleichs archäologische Untersuchungen zur Peterskirche im Zentrum der Münchner Altstadt lieferten teils gesicherte, teils interpretationsbedürftige Erkenntnisse über die Bauabfolgen und deren Datierung der Peterskirche. Danach bestand an der Stelle zunächst ein romanischer Kirchenbau. Nach dem Stadtbrand von 1327 wurde die Peterskirche im gotischen Stil wiederaufgebaut. Anders als Schleich annahm, wurde der romanische Vorgängerbau wohl wie Stahleder vermutet, im 12. Jahrhundert erbaut und mehrfach erweitert worden.

Seine intensive Auseinandersetzung mit alten Bauwerken konnte Schleich von 1954 bis 1956 als wissenschaftlicher Assistent von Hermann Leitenstorfer am Lehrstuhl für Entwerfen, Denkmalpflege und Sakralbau der Technischen Hochschule München vertiefen. Erwin Schleich promovierte 1957, seine Doktorarbeit lautete – wenig überraschend –   „Die Peterskirche in München, ihre Baugeschichte und ihre Beziehungen zur Stadt im Mittelalter, dargestellt auf Grund der Ergebnisse der Ausgrabungen“.  Während seiner Zeit als Assistent von Leitenstorfer führte Schleich auch den Wiederaufbau des von Gabriel von Seidls erbauten Ruffinihauses an der Sendlinger Straße, aber vor allem auch die Rekonstruktion der von Friedrich von Gärtner entworfenen Ludwigskirche an Münchners Prachtstraße durch. 

 

 

Architekt und Rekonstrukteur

Anschließend arbeitete er als freischaffender Architekt und war für die Wiederherstellung oder Rekonstruktion zahlreicher Münchener Baudenkmäler verantwortlich. Mit dem Auftrag zum Wiederaufbau des Preysings Palais zu einem Geschäftshaus mit Ladenpassage und Büroflächen verband Schleich die Ansprüche einer optimalen Ausnutzung des Gebäudes für wirtschaftliche Zwecke mit der Rekonstruktion eines der bedeutenden kulturhistorischen Bauwerke aus dem Münchner Barock. Schleich erstellte dabei eigentlich einen Büroneubau mit – ihm Vergleich zum Originalbau – zusätzlichen Geschossen, die mit zwei Lichthöfen ausstattete. Allein das berühmte und in Teilen erhalten gebliebene Treppenhaus von Johann Baptist Zimmermann wurde im Inneren des Effner´schen Baus rekonstruiert. Auch äußerlich wurden Änderungen vorgenommen: Während die Fassade an der Theatinerstraße originalgetreu rekonstruiert wurde, erhielten sie auf der Ebene des Erdgeschosses Ladenfenster und in der ehemaligen Durchfahrt eine Ladenpassage.

Mit dem Künstlerhaus am Lenbachplatz in der Nähe des Stachus baute Schleich nach den Ruffinihäusern ein zweites Gebäude des Architekten Gabriel von Seidl wieder auf. Auch hier führte er zu Gunsten der neuen Nutzung bauliche Änderungen am Originalzustandes des Gebäudes durch.

 

 

Neubauten

Schleich betätigte sich allerdings nicht nur als Rekonstrukteur bedeutender, im Krieg zerstörter Bauwerke, sondern errichtete auch eigenständige Neubauten. Der bekannteste Bau ist dabei der zwischen 1960 und 1963 errichtete Neubau des Luxushotels Bayerischen Hofs am Promenadenplatz, des damals auch größten Hotels in München. Etwa zehn Jahre später erfolgte die Rekonstruktion und Umbau des direkt angrenzenden Palais Montgelas zum Erweitungsbau des bayerischen Hofes.

Weitere von Schleich errichtete Neubauten ist das Verwaltungsgebäude Berlinische Feiuerversicherungsanstalt (1968-1970) und das Verwaltungsgebäude der Deutschen Beamtenversicherung (1977-1981)

 

„Die Zweite Zerstörung Münchens“

War der Wiederaufbau in München von 1945 bis Anfang der 1960er Jahre zunächst konservativ bewahrend und gegen moderne Architekturrichtung feindlich eingestellt, so machte sich danach eher eine Fortschrittlichkeitsgäubigkeit breit. Nach dem Vorbild der USA wollten die Stadtplaner München stärker zu nach „autogerechten Stadt“ ausbauen. Dazu gehörten sich umschließende Autoringe, wie der Altstadtring, der Mittlere Ring und die geplante Ringautobahn, aber auch ein Ring außerhalb des Mitteleren Rings. Auch bei den Bürobauten wurden die Maßstäbe der Umgebung durch höhere Geschosse gesprengt. Erwein Schleich prangerte mit seinem Buch 1978 erschienen Buch „Die Zweite Zerstörung Münchens“ diesen Trend an und löste damit eine Gegenbewegung aus. Der ArchitektHelmut Borcherdt kritisierte die von Straßenbauingenieuren dominierende Stadtplanung im Sinne Schleichs. WSie hätten nicht mehr Schaden im Stadtbild anrichten können, wenn sie Kommandeurein einem Bombergeschwader gewesen wären.“

Ende der 1990er Jahre und im vergangenen Jahrzehnt waren Politik und die Stadtplaner auch unter Druck dieser Bürgerinitiativen umgeschwenkt. So wurde der Ausbau eines weiteren Autorings fallengelassen, auch konnte sich die vom ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter angeführte Bewegung für Begrenzung der Hochhausbebauung durchsetzen. Erwin Schleich war jedoch bereits am 13. August 1992 gestorben.

 

Literatur

Winfried Nerdinger (Hrsg.): Architektur der Wunderkinder - Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-1960