Projektentwickler setzen auf Life Science

Der Zinsanstieg hat neue Entwicklungen für Wohn- und Büroimmobilien gestoppt. Im Raum München entwickeln Developer nun verstärkt Immobilien für das Life Science Cluster.

 

Bei den Developern ist die Krise angekommen. Laut einer Auswertung des Immobilienmarkt-Analysehaus Bulwiengesa und dem Projektfinanzierer BF.direkt Ende Mai 2023 ist das Entwicklungsvolumen der sieben größten Städte (A-Städte) via 2022 um 5,7 Prozent geschrumpft.

Die versiegende Liquidität der Investoren, Kreditgeber und Entwickler aufgrund gestiegener Zinsen trocknet das Segment neuer Bauprojekte aus. „Der Markt ächzt, und alle Akteure spüren seit Längerem den Rückgang. Die skeptischen Ertragserwartungen der Projektentwickler zeigen sich vor allem am Einbruch der Planungen, die um 7,8 Prozent gegenüber 2022 zurückgehen“, erläutert Felix Embacher, Head of Research & Data Science bei Bulwiengesa. Die Entwickler und Bauunternehmen sind zwar aktuell noch mit laufenden Projekten voll ausgelastet, deren langfristige Finanzierung noch vor dem Zinsanstieg im vergangenen Jahr gesichert werden konnte. Ab Ende nächsten Jahres prognostiziert Bulwiengesa aber über alle Nutzungsarten einen deutlichen Rückgang des Projektvolumens.  

Einbruch bei Wohnen und Büros.

Am stärksten ist der Rückgang mit 1,6 Millionen Quadratmeter Projektflächen bei Wohnimmobilien in den A-Städten wie Berlin oder München sichtbar, wo sich bereits vor der Corona-Krise wegen hoher Grundstückskosten und Baupreise sowie politischen Restriktionen in den Großstädten (Mietregulierungen, Erhaltungssatzungen, Bevorzugung städtischer Unternehmen) ein Rückgang abzeichnete. „Ausgerechnet in den Metropolen, wo die Wohnungsnot am größten ist, schläft die Bautätigkeit nun vollends ein“, warnt Sven Carstensen, Vorstand bei Bulwiengesa. Ohne Beschleunigung der Verfahren und einer besseren finanziellen Förderung von Wohnungsbau sei das Problem nicht zu lösen. Die seit  dem 1. Juni 2023 geltende KfW-Förderung „Wohneigentum für Familien“ für klimafreundliche Neubauten (siehe Seite 05) wird als unzureichend angesehen. „Die dafür festgesetzte Einkommensgrenze von 60.000 Euro für Familien mit einem Kind ist zu niedrig. Der größte Bedarf an Fremdkapital entsteht bei Neubauten, die sich aber oft nur Bezieher deutlich höherer Einkommen leisten können“,  kritisiert Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender des Kreditvermittlers Dr. Klein. 

Mit einem Rückgang von 560.000 Quadratmetern beziehungsweise um 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist nun auch der Einbruch bei Büroprojektentwicklungen groß. „Vielen ist derzeit nicht nach großen Büro-neuplanungen zumute: Homeoffice und die schwächelnde Konjunktur sorgen für große Skepsis, die Objekte wirtschaftlich sinnvoll an den Markt zu bringen“, erläutert Carstensen. Der größte absolute (minus 488.000 Quadratmeter) und mit 20 Prozent auch hohe relative Rückgang wird übrigens in München verzeichnet. Nachdem größere Areale wie das Werksviertel mittlerweile bebaut sind, fehlen hier auch Entwicklungsareale. Bei Büroprojekten verzögert sich häufig die Fertigstellungen, während Logistikimmobilien – für die die Developer auch künftig eine hohe Nachfrage sehen – am pünktlichsten fertiggestellt werden. Doch die meisten Logistikprojekte werdeb nicht an teuren A-Städten, sondern an günstigeren Standorten erstellt.

Ein Markt, für den Analysten, Makler und Entwickler in der Metropolregion München große Entwicklungschancen sehen, ist das Life-Science-Segment. Darunter wird jede Technologie oder Anwendung, die mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommt oder seinen Zustand zu verbessern sucht, verstanden. Angetrieben von bahnbrechenden Innovationen in der medizinischen Forschung und der Zunahme von Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herzerkrankungen weist die Branche hohe Zuwachsraten auf.

Vermehrt Life-Science-Projekte.

Damit besteht auch ein großer Bedarf an Spezialimmobilien mit Laboren. Insbesondere die Biotech-Branche bringt viele innovative Medikamente und Therapien hervor. Auch die Medizintechnik und E-Health verzeichnen ein starkes Wachstum. Die Gesundheits- und Pharmaindustrie spielt auch für die Immobilienwirtschaft eine immer größere Rolle. Europaweit sind zahlreiche Cluster entstanden. „Die Bedeutung Deutschlands als Forschungs- und Produktionsstandort ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen“, sagt Dr. Alexander Nuyken, Head of Life Sciences Markets JLL EMEA. Im Vergleich zur Spitzengruppe der führenden Life Science Cluster London, Oxford und Cambridge zählen in Deutschland nur die Region München und Berlin-Potsdam zu dem Verfolgerfeld, während die JLL-Studie „EMEA Life Sciences Cluster Outlook 2023“ die Rhein-Ruhr- und die Rhein-Neckar-Regionen dem Mittelfeld zuordnet und das Cluster Hamburg sich erst entwickelt.

Die große und wachsende Bedeutung der Life Sciences für die Region München ist vor allem auf den Campus Martinsried zurückzuführen. Der Planegger Ortsteil Martinsried gegenüber dem Münchner Klinikum Großhadern beherbergt außer dem Biozentrum und das Biomedizinische Centrum (BMC) der LMU und den Max-Planck-Instituten für Biochemie sowie für biologische Intelligenz auch das Innovations- und Gründerzentrum Biotechnolgie Martinsried (IBZ). Das IZB wurde 1995 von der Fraunhofer Management Gesellschaft im Rahmen  des von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verfolgten Hightech-Offensive (HTO) gegründet. Aktuell befinden sich im IBZ Martinsried rund 50 Start-ups des Biotechnologiesektors mit etwa 700 Mitarbeitern. Im Umfeld des IZB siedelten sich weitere Unternehmen der Branche wie die Aktiengesellschaft Morphosys an.

Aufgrund der begrenzten Büro- und Laborflächen im IZB treten die expandierenden Life-Science-Unternehmen verstärkt als Mieter für Spezialimmobilien in der Umgebung auf. Die Developer reagieren mit entsprechenden Entwicklungen. So errichtet in der südlich von Martinsried gelegenen Gemeinde Neuried die Toni KG in mehreren Bauabschnitten den Campus Neuried, in der nördlich vom IZB Martinsried gelegenen Stadt Gräfelfing hat die Aventin Real Estate im April das Richtfest für das bereits voll vermietete Life Science Center gefeiert.

Große Nachfrage nach Life-Science-Flächen besteht zudem bei Freising, wo 2002 auf dem Campus Freising-Weihenstephan ein IZB-Ableger eröffnet wurde. Life-Science-Unternehmen mieten verstärkt in dem südlich von Freising in der Gemeinde Hallbergmoos gelegenen Gewerbepark MABP. Aktuelle Projekte wie das iQ Space oder das Hybrid One von Rock Capital werden als Teil des Life-Science-Clusters entwickelt.

Mit der Verlagerung der Tiermedizinischen Fakultät der LMU vom Englischen Garten am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), entsteht in Oberschleißheim ein weiteres Life Science Cluster.

Neues Cluster Oberschleißheim.

Die Asto Group, 2003 mit der Übernahme der Fraunhofer Management Gesellschaft durch dessen Geschäftsführer Dr. Bernd Schulte-Middelich und Ekkehart Fabian gegründet, entwickelt westlich des LGL und dem geplanten Uni-Campus den One Health & Technology Campus (OHTC). „Wir entwickeln, finanzieren, realisieren und betreiben Exzellenzstandorte und wissenschaftlich, undustrielle Ökosysteme“, erläutert Ekkehard Fabian, Gesellschafter der Asto Group. Entwickelt wurden z.B. das Medical Valley in Erlangen, das Photonics in Berlin-Adlershof, das Biotechnology Weihenstephan und der Asto Park Oberpfaffenhofen.

Mit dem OHTC soll auf 15 Hektar ein Park für wissenschaftliche Einrichtungen und Technologiefirmen aus Medizin, Medizintechnik, Biotechnologie, Pharma und IT entstehen (siehe vorläufiger Plan unten). „Geplant ist ein attraktiver Mix aus flexibel unterteilbaren Büro-, Labor-, Test- und Produktionsflächen mit insgesamt 220.000 Quadratmetern“, erläutert Philipp Graf von Baudissin, Geschäftsführer OHTC. „Wir rechnen für das erste Quartal 2024 mit dem Satzungsbeschluss des Bebauungsplans – mit dem Bau könnte dann im ersten Quartal 2025 begonnen werden.“  

Text: Ulrich Lohrer, Stand 13.06.2023

Bildnachweis: © IZB Martinsried