Trudering-Riem: Große Pläne gegen den Willen der Bürger

In den ehemaligen uralten Bauerndörfern Trudering und Riem entstehen westlich der Messestadt Riem am Riemer Park neue Wohnquartiere. Gegen den Willen vieler Anwohner.

 

Die Messestadt Riem im Stadtbezirk Trudering-Riem war lange einer der am schnellsten wachsenden Stadtteile Münchens. Wesentlich älter sind die westlich gelegenen ehemaligen Dörfer Riem und Trudering, die heute zusammen einen Bezirksteil des gleichnamigen Stadtbezirks bilden. Hier plant die Stadt München für die wachsende Bevölkerung große Wohnquartiere und neue Straßen. 

Die Gegend von Trudering war bereits während der Steinzeit besiedelt, die Siedlung Trutheringa – wohl nach dem Namen des Sippenführers Truchtaro benannt – wurde erstmals im Jahr 772 erwähnt. Ein großer Acker wurde um 1080 von der edlen Frau Uta an die Truderinger Kirche vermacht. Der Uta-Sage nach wurde ihr herzloser Mann, der Ritter Cuno, der seine Leibeigenen quälte, samt seinem Schloss von der Erde verschluckt. Es soll sich an der Stelle befunden haben, wo heute eine fünf Meter tiefe Senke der Uta-Höhle liegt. Die Kirche verpachtete den geschenkten Grund an die Bauern. Es entstanden Kirchtrudering mit der Kirche St. Peter und Paul sowie das südlich der Wasserburger Landstraße gelegene Straßtrudering.

Die zwei Bauerndörfer  wuchsen im 13. Jahrhundert zu einem Doppeldorf zusammen, und reiche Münchner Patrizier wie die Ragausch, hatten hier Lehen. Pest und der Dreißigjährige Krieg setzten dem Dorf zwar schwer zu. Die 1870 erbaute Bahnstrecke München-Rosenheim trennte das Doppeldorf wieder, führte jedoch auch zum Bau der südöstlich gelegenen Siedlungen Waldtrudering (ab 1890) und ab 1917 unter der Regie des Unternehmers Walter Grundler zur Gartenstadt Trudering und Neu-Trudering. 1931 entstand entlang des Leonhardiwegs in Kirchtrudering die Kriegersiedlung. Ein Jahr später wurde Trudering in München eingemeindet.

Danach wohnten hier zeitweilig auch Nazi-Größen wie SS-Chef Heinrich Himmler und der Hitler-Duz-Freund  Hermann Esser. Der nach Plänen des Flughafen-Tempelhof-Architekten Ernst Sagebiel entworfene Flughafen Riem führte nach seiner Eröffnung im Jahr 1939 bis zu seiner Schließung im Jahr 1992 für die Anwohner der angrenzenden Stadtteile Trudering und Riem zu einer nach und nach höheren Lärmbelastung.

Heute vermittelt die Gegend entlang der Kirchtruderinger Straße und der Emplstraße mit dem Einfirsthof, dem Kilihof und dem Gasthof Göttler (siehe großes Bild oben) wieder den Eindruck eines etwas verschlafenen Dorfes. Im Gegensatz dazu herrscht südlich der Bahngleise entlang der Wasserburger Landstraße und der Truderinger Straße (siehe Bild oben links) stärkerer Verkehr und zwischen alten Villen und Bauerhäusern eine urbanere Bebauung.

Doch zunehmend werden auch die noch freien Felder in Kirchtrudering mit Wohnhäusern zugebaut. Von 1999 bis 2002 erstellte die Bayerische Hausbau mit der Wohnanlage Truchthari-Anger etliche Mehrfamilienhäuser (siehe Bild unten rechts).

 

Moderate Verdichtung in Kirchtrudering

Vor fünf Jahren errichtete Corpus Sireo gegenüber dieser Wohnanlage vom Mitterfeld bis zur Graf-Ottenburg-Straße neun kleine, freistehende, Mehrfamilienhäuser. Zwei-Zimmer-Wohnungen des Projekts „Mia-Trudering“ wurden zwischen 500.000 Euro und 550.000 Euro oder für rund 7200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche über Walser Immobilien angeboten. Aus heutiger Sicht ein Schnäppchen.

 

Dichtere Bebauung im Süden entlang der Truderinger Straße

In der Truderinger Straße 160 erbaute die Pöttinger Wohn- und Industriebau mit dem Projekt „Trudi160“ fünf Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 69 Eigentumswohnungen, die längst verkauft und bezogen sind. 

Riemer Dorfidyll

Die Straße am Mitterfeld führt zwischen dem Riemer Park vom französischen Landschaftsarchitekten Gilles Vexlard und der von Andreas Meck Architekten und Lohrer-Hochrein Landschaftsarchitekten gestalteten Friedhofsanlage im Norden Richtung Riem (siehe Bild oben links).

Alt-Riem weist eine ähnliche Siedlungsgeschichte wie Trudering auf. So wurde es ebenfalls bereits im 8. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Der alte Dorfkern (siehe Bild links) befindet sich an der 1183 erbauten St. Martins-Kirche am Martin-Empl-Ring, südlich vom Hotel Prinzregent. Dort prägen ehemalige alte Bauernhäuser, wie das Landhotel Martinshof oder das 1750 erbauten Schusterbauernhaus am Stockerweg das Bild. Letzteres Gebäude, das von Euroboden und dem Architekten Peter Haimerl renoviert und im Innern modern neugestaltet wurde, erhielt vom Deutschen Architekturmuseum 2016 eine Auszeichnung.

Einen Steinwurf von St. Martin entfernt befindet sich ein das von der BPD Immobilienentwicklung erbaute Wohnquartier Am Neufeld 5 mit 89 Wohnungen. Zwischen Riemer Straße und Gleisanlagen befinden sich die GEWOFAG-Siedlung Widmannstraße und am S-Bahnhof die 2015 eröffnete Grundschule am Ilse-von-Twardowski-Platz nach Plänen der Balda-Architekten.

Galopprennbahn Riem: Ein Hauch von Paris-Auteuil

Eine exklusive Atmosphäre verströmt die weiter nördlich gelegene Galopp-Rennbahn. So stammen das im englischen Landhausstil errichtete Waag- und Vereinshaus und die Sattelboxen noch aus dem 19. Jahrhundert. Und die weiß gestrichene, bedachte Holztribüne eröffnet den Blick auf die weite grüne Rennbahn. 

1895 hatte der Münchner Rennverein von den Dörfern Riem und Dornach das 56 Tagwerk großes Gelände erworben, da die Münchner Garnison den bis dahin genutzten Standort am Oberwiesenfeld benötigte. Den Auftrag zur Errichtung der Bahn in Riem bekam der Hamburger Garteningenieur und Landschaftsarchitekt Rudolf Jürgens, der bereits die Bahnen in Berlin-Karlshorst, Hamburg-Horn und Köln-Weidenpesch erbaut hatte. Für die Linienführung wurde die Flachbahn in Iffezheim als Vorbild genommen, der Hinderniskurs entsprach dem damals modernsten Vorbild von Paris-Auteuil.

Städtebauliche Erschließungspläne für den Münchner Osten

Künftig könnte sich die Bevölkerungsdichte hier spürbar erhöhen. Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat den Münchner Nordosten als neues Erschließungsgebiet ausgemacht. Am 7. Juli 2022, beschloss der Münchner Stadtrat in der Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung eine Reihe von Maßnahmen zum Bau von insgesamt 2500 Wohnungen. Den größten Anteil davon betraf mit 1500 Wohnungen eine Quartierentwicklungs an der Heltauerstraße in Trudering-Riem.

Aktuell umfasst das Areal weitgehend unbebaute Wiesen, das Möbelgeschäft Poco und wenige Gewerbeobjekte. Bis zur Baufertigstellung der Wohngebäude nördlich der Gleisanlagen des Truderinger Bahnhofes dürfte es allerdings noch einige Zeit dauern.

Wer im Bezirksteil Trudering-Riem eine Neubauwohnung beziehen will, muss aber wohl nicht solange warten. So wurde ein anderer städtebaulicher Wettbewerb eines großen Neubauquartiers bereits Ende Juli diesen Jahres entschieden. Der Entwurf der Münchner Architekturbüros 03 Architekten mit Studio Vulkan gewann den ersten Preis für die Bebauung des 5. Bauabschnitts der Messestadt Riem mit 2500 Wohneinheiten für 6250 Bewohner und sozialen Einrichtungen auf einer 25 Hektar großen Fläche zwischen Kirchtrudering und dem Riemer Park. Obwohl die Messestadt Riem auf dem Areal des ehemaligen Münchner Flughafen ein eigenständiger Bezirksteil ist, befindet sich das Planungsgebiet für den letzten Bauabschnitt der Messestadt im Bezirksteil Trudering-Riem. Offen ist allerdings noch, ob der Siegerentwurf oder die zwei nächstplatzierte Entwürfe in dem künftigen Bebauungsplan verwirklicht wird, da die Stadt diese Entwürfe überarbeiten lässt und erst danach entscheidet, welches Konzept realisiert wird.

Am weitesten sind die Pläne allerdings für ein drittes Neubaugebiet in Trudering-Riem gediehen. Zwischen dem Riemer Parks im Norden und der S-Bahnlinien S4 und S6 befindet sich ein schmaler Streifen des Bezirksteils, der an die Münchner Nachbargemeinde Haar grenzt. Hier am Entwicklungsgebiet des Rappenwegs könnten auf einem ehemaligen Gewerbeareal zwischen 1700 bis 3400 Wohnungen entstehen. Die ZAR Real Estate Holding hat dort bereits ein 15.000 Quadratmeter großes Entwicklungsgrundstück erworben, um hier Büros und 250 Wohnungen zu errichten. „Der Plan sieht vor, gemeinsam mit der Stadt ein zukunftsfähiges Quartier auf die Beine zu stellen“, sagt Daniel Argyrakis, CFO und Geschäftsführer der ZAR Real Estate.

Widerstand der Anwohner.

Noch weiter östlich würde die Stadt München gerne Wohnungen auf dem sogenannten Haarer Flur im Haarer Ortsteil Gronsdorf errichten lassen. Dort gehört der Stadt München am Bahnhof ein elf Hektar großes Areal – Platz für 300 bis 800 Wohnungen.

Bislang weist der Stadtteil zum Teil noch einen ländlichen Charakter mit unbebauten Wiesen und landwirtschaftlich genutzten Flächen auf. Kein Wunder, dass sich gegen die Stadtplanung mit einer massiven Verdichtung und einer Arrondierung der noch unbebauten Flächen Widerstand formiert. So fordert die Anwohner–Interessengemeinschaft Kirchtrudering am Riemer Park eine „verträglichere“, gemeint ist eine geringere, Bebauung. Befürchtet wird auch ein höheres Verkehrsaufkommen. So ist eine vierspurige Entlastungsstraße für den Truderinger Ortskern zwischen der Straße Mitterfeld und dem Rappenweg sowie von dort aus eine Anbindung nach Gronsdorf ge-plant. Letztere wurde vorläufig gestoppt durch den Haarer Gemeinderat, der ebenfalls dadurch ein starkes Verkehrsaufkommen befürchtet.

Das größte städtebauliche Entwicklungsgebiet sehen die Münchner Stadtplaner aber im Gebiet nördlich der Trabrennbahn Riem sowie in Teilen der Nachbarviertel Daglfing und Johanneskirchen. Mit der „Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nordost“ wollen das Planungsreferat und die Mehrheit des Münchner Stadtrats ein 600 Hektar großes Gebiet erwerben, um ab Mitte der 2030er-Jahre Wohnungen für bis zu 30.000 Menschen zu schaffen. Die betroffenen Grundstücksbesitzer – vorwiegend Landwirte – befürchten damit die Enteignung ihrer Grundstücke ohne eine angemessene Entschädigung.

Aktuell werden aber im Viertel noch kaum neue Wohnungen angeboten. Interessenten können sich an den Pojekten der südlich gelegenen Gartenstadt Trudering und Waldtrudering orientieren. Neubauwohnungen werden dort zu Preisen von über 10.000 Euro pro Quadratmeter offeriert. Die stark gestiegenen Zinsen verzögern den Verkauf.

Diese und die sinkenden Realeinkommen könnten auch die ambitionierten Entwicklungsvorhaben behindern – wahrscheinlich effektiver als die Bürgerinitiativen. 

 

 

Das Viertel in Zahlen

Trudering-Riem ist der westlichste von vier Bezirksteilen des östlichsten Münchner Stadtbezirk Riem-Trudering. Im Norden grenzt er an den Bogenhausener Bezirksteil Johanneskirchen und nordöstlich der Galopprennbahn Riem an die Gemeinde Aschheim. Im Osten liegt die Messestadt-Riem und südöstlichen die Gemeinde Haar. Südlich der Wasserburger Landstraße grenzt Trudering-Riem an Waldtrudering und Richtung Westen an die Gartenstadt Trudering. Westlich der Linie liegt Josephsburg, ein Bezirksteil des Stadtbezirks Berg am Laim und nordwestlich davon liegt Daglfing, im Stadtbezirk Bogenhausen.

 

Einwohner: Die Bewohner des Viertels gelten als gut situiert. Mit 14,9 Prozent der Top-Verdiener-Haushalte verfügt vor allem Trudering über einen hohen Anteil der kaufkraftstarken Haushalte der gesamten Landeshauptstadt.

Infrastruktur: Trudering ist über den Bahnhof Trudering (S4, S6, U2) und der U-Bahnhaltestelle Moosfeld (U2), Riem über den Bahnhof Riem (S2) an das ÖPNV-Netz gut angebunden. Einkaufsmöglichkeiten bieten die Riem-Arcaden in der Messestadt, Grünflächen der Riemer Park.

Immobilien: Es überwiegt kleinteilige Wohnbebauung. Dörflichen Charakter haben noch die alten Ortskerne von Riem im Norden des Viertels und Kirchtrudering. Eher dichtere Bebauung ist entlang der Truderinger Straße südlich der Gleisanlagen und nördlich der Wasserburger Landstraße anzutreffen. Die Preise im Viertel sind niedriger als im benachbarten Waldtrudering und Alt-Riem ist etwas günstiger als Trudering.

Text: Ulrich Lohrer, erstellt 11.10.2016, zuletzt aktualisiert: 12.09.2022

Bilder: Ulrich Lohrer